Enklave des Nik'taat't
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die Schatten des Regenbogens (Geschichte)

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Beitrag von Tamiia Sa Apr 09, 2016 1:59 am

1.

Wind. Ein Lufthauch, mal stärker mal schwächer. Mal warm, mal kalt. Naemy fragte sich manchmal, wie ein Vogel, hoch oben in den Lüften, den Wind wahrnahm. Oder ob Fische nahe der Wasseroberfläche auch etwas davon merkten. Sie selbst jedenfalls mochte den Wind sehr, egal welcher Art. Er gab ihr ein Gefühl der Freiheit und irgendwie auch ein Gefühl der Heimat. Sobald ein Lufthauch sanft ihre Wangen strich oder ein heftiger Wind an ihren blonden, langen Haaren riss, fühlte sie sich sicher und geborgen.
So auch in diesem Moment. Sie stand unter einem Baum auf einer leicht erhöhten Wiese. Der Wind umstrich ihre grossgewachsene, schlanke Figur und liess sie alles andere vergessen. Laromah, der hinter ihr auf dem Baum sass, ihre beste Freundin Anna. All ihre Probleme und Sorgen. Sie alle schienen weit entfernt, wie an einem anderen Ort, in einer anderen Zeit. So gönnte sich Naemy einen Moment der Ruhe, ehe sie sich selbst das Nachdenken wieder erlaubte. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen, als sie an Anna dachte… Ein verbittertes Lächeln, wenn sie an Laromah dachte. Und ein trauriges Lächeln, wenn sie ihren Blick hob und den Regenbogen vor ihren Augen ansah.

Verärgert sah ich Anna an: „Tu was du für richtig hälst, aber zieh mich nicht da mithinein.“ Meine Stimme war ruhig, aber bestimmt. Anna wollte unbedingt ein Tattoo, doch für mich war dies nichts. In Solchen Dingen war ich ohnehin heikel. Alles was nicht wenigstens halbwegs etwas mit der Natur zu tun hatte, oder ihr irgendwie wiedersprach fand ich… falsch...? „Ach komm schon Naemy, ein Freundschaftstattoo…!“, bettelte meine beste Freundin, doch ich machte eine wegwerfende Handbewegung. Nela mischte sich in das Gespräch ein: „Anna, deine Freundin hat recht, so ein Tattoo ist etwas, was du dir gut überlegen musst. Das bleibt dein Leben lang!“ Fassungslos starrte ich Nela an. Der Grund dazu war ganz einfach. Nela war eine Krankenschwester, genauer gesagt die Krankenschwester von Anna, da diese an Krebs litt. Ihr Verfallsdatum, wir ihren angekündigten Todestag liebevoll nannten, war eigentlich bereits überschritten, weshalb sie jederzeit von uns gehen könnte. Also sah sie Nela nun böse an, da solch eine Bemerkung einfach absolut unangemessen war. Doch Anna nahm es mit Humor: „Ich habe es mir gut überlegt. Ich bin mir quasi todsicher.“ Ich bewunderte Anna immer wieder für ihren gelassenen Umgang mit ihrem Schicksal. Wären da nicht die Stunden gewesen, in denen sie weinend in meinen Armen lag, so hätte ich behaupten können, es mache ihr gar nichts aus. Meine beste Freundin schien meine Nachdenklichkeit zu bemerken, denn sie stupfte mich in die Seite und sagte lachend: „Eine Rose solls werden, mit ganz vielen verschiedenen Neonfarben, damit es auch ja jeder sieht. Was hälst du davon? Am besten noch mit einer Hello Kitty oder so.“ „Anna!“, erwiderte ich erschrocken, musste dann aber lachen, da ich begriff, dass Anna mich nur reinlegen wollte. „Nein im Ernst jetzt, was willst du denn für ein Motiv haben?“ Nun wurde Anna auf einmal sehr still. „An ein Blatt habe ich gedacht.“, sagte sie schliesslich und sah mich dabei mit einem traurigen Lächeln an. „Damit du immer bei mir bist, verstehst du?“ Ich verstand.
Also ging es los. Mit Nela im Schlepptau, da sie Aufsichtsdienst für Anna hatte, machten wir uns auf den Weg zu einem Tattoostudio. Nela hatte zuvor noch einen Termin vereinbart und glücklicherweise bekamen sie sogar einen noch am selben Tag. Die kleine, rundliche Krankenschwester mit den roten Haaren öffnete die Tür, liess uns beide eintreten und kam dann hinterher. Der Eingangsbereich schien zugleich auch eine Art Wartezimmer zu sein, denn es gab einige Stühle, auf denen bereits zwei Personen sassen. Eine etwas ältere Dame mit Brille und einen jungen Mann mit langen Haaren. Wir setzten uns auch zu ihnen und ich fragte Anna schliesslich: „Bist du aufgeregt?“ Meine Freundin schüttelte den Kopf, nickte dann aber gleich darauf. „Die Schmerzen können kaum schlimmer sein, als die meinen.“, sie lachte. Ein falsches Lachen, aber ich tat ihr den Gefallen und lachte mit. Der junge Mann neben uns musterte mich mit seinen grünen Augen. Als ich zu ihm hinsah, wandte er ganz gegen meine Erwartungen seinen Blick nicht ab, sondern begann zu lächeln. Wie unheimlich. Um mich zu vergewissern, dass Anna dasselbe dachte wie ich, sah ich zu ihr, doch sie wurde soeben aufgerufen, sie nächste zu sein. Ich drückte kurz ihre Hand und liess sie dann mit einem Lächeln gehen. „Wer schon sein will, muss leiden.“, scherzte ich noch, ehe sie weg war. Nela schnappte sich eine der Zeitschriften, die im Zimmer herumlagen und begann darin zu blättern. Ich wandte den Kopf in ihre Richtung, schielte aber zu dem blonden Mann hinüber. Er musterte mich noch immer. Da ich beschloss, ihn einmal anzusprechen, sagte ich: „Hi. Bist du hier, um ein Tattoo stechen zu lassen?“ Kaum hatte ich die Frage ausgesprochen, hätte ich mich am liebsten selbst geschlagen. Das war wohl die dümmste Frage, die man in einem Tattoostudio hätte stellen können. Doch zu meiner Überraschung antwortete er mit einem nein. Nun irritiert, aber interessiert fragte ich: „Und wieso denn dann?“ Er zuckte bloss mit den Schulten und sah mich weiterhin an. Nun leicht genervt wandte ich den Blick von ihm und sah in Nelas Zeitschrift hinein. „Wie ist dein Name?“, vernahm ich die Stimme des Mannes. Ich sah wieder zu ihm, vergewisserte mich, dass er wirklich mich meinte und sagte dann: „Naemy… Deiner?“, warum zur Hölle sprach ich überhaupt mit dem? „Laromah. Nennst du mir auch noch dein Alter, Naemy?“, fragte er noch weiter. „Nein.“, war meine knappe Antwort, nun wirklich genervt von ihm. Was bildete der sich denn ein? Dass sie jedem dahergelaufenen Typen ihr Alter verraten würde? Auch wenn er noch so gut aussah und solch eine schöne Stimme hatte…? Ich erwischte mich dabei, wie ich noch einmal zu ihm hinsah, drehte dann aber schnell meinen Kopf wieder weg von ihm. So blieb ich eine ganze Weile sitzen, als Anna endlich wieder zurückkehrte. Bevor sie bei mir angekommen war, wagte ich einen Blick zu Laromah, doch er war verschwunden. Erleichtert nahm ich die vor Freude förmlich leuchtende Anna in meine Arme und bat sie, mir ihr Blatt zu zeigen. Es war wahrlich wunderschön geworden.


Regenbogen. Der Schatten des Regenbogens. Hatte wirklich jeder Regenbogen einen Schatten, oder wirkte dies nur so? Konnte der Schatten stärker werden und die Farbenpracht des Regenbogens für immer verschlingen? Oder war das Licht stärker als die Dunkelheit? Gab es am Ende sogar immer... ein schimmern in der Dunkelheit?

„Hast du gerade mit dem gesprochen?“, störte Nela den Moment. Ich löste meinen Blick von Annas Tattoo und wandte ihn der Krankenschwester zu. „Bitte was?“, war nur meine Reaktion, da sie mich aus dem Konzept gebracht hatte. „Mit diesem Laromah.“, redete sie unbeirrt weiter, „Dieser Irre. Den haben sie erst kürzlich aus der Psychiatrie entlassen. Ein Spinner höchsten grades. Ich rate dir dringendst, kein Wort mehr mit dem zu wechseln.“ Nach einer Weile fügte sie noch ein: „Was?“ an. Erst da fiel mir auf, dass ich sie wohl die ganze Zeit über angestarrt haben musste. Aus Anstand schenkte ich ihr ein Nicken und richtete meine Aufmerksamkeit schliesslich wieder auf Anna. Diese sah mich an und grinste bloss, ehe sie in ein leises kichern ausbrach. Das brachte mich sofort wieder auf andere Gedanken und so konnte ich ruhig in das Kichern miteinstimmen.

Doch was, wenn die Dunkelheit Oberhand gewann und sie für immer niederdrücken würde? Gab es dann noch Hoffnung? Oder gab es am Ende gar kein Hell, gar kein Dunkel sondern bloss… Leben und Überleben? Naemy liess den Blick wieder auf ihre Hände sinken und betrachtete die vielen feinen Linien und Muster.

An diesem Abend las ich noch lange in einem Lieblingsbuch von Anna und mir. Wir beide hatten etwa zur gleichen Zeit mit dem Lesen begonnen und waren beide etwa gleich begeistert davon. So spannend es war, so unheimlich war es aber auch und so kam es, dass ich es selten abends las. Heute jedoch tat ich genau dies. Ich las bis spät in die Nacht hinein und war froh darüber, dass es Wochenende war und ich somit am nächsten Tag nicht früh aufstehen musste. Dennoch fielen mir irgendwann beinahe die Augen zu, weshalb ich mich noch bis zu einem Kapitelende vorkämpfte und das Buch dann zur Seite legte, um zu schlafen. Ich hatte einen seltsamen Traum. Ich sah mich mit vielen Personen in einem Raum. Es waren Menschen, doch irgendwie sahen sie seltsam aus, wenn ich auch nicht beschreiben konnte, inwiefern. Sie alle redeten miteinander, bis sie mich auf einmal alle miteinander anstarrten. Und dann verspürte ich Angst und das Bedürfnis, schnell wegzurennen. Aber nicht wegen den Blicken, sondern ich wusste, dass jetzt etwas Schreckliches passieren würde. Ich wollte weg, nur noch weg! Die Menge trat zur Seite und machte einer hell leuchtenden Gestalt Platz. Sie leuchtete so Hell, dass ich von ihrem Licht geblendet war und nicht erkennen konnte, wer oder was da auf mich zukam. Doch es kam näher und immer näher. Ich wollte nur weg. Weg! Schnell! Sonst… „Aaaaaaaaaaaaaah!“, schrie ich angsterfüllt auf und erwachte von meinem eigenen Schrei. Hektisch setzte ich mich auf und knipste das Licht an. Erleichtert atmete ich auf, als nichts und niemand in meinem Zimmer war. Nach dem ersten Moment des Schreckens musste ich über mich selbst lachen. Wer oder Was würde auch einfach so mal in mein Zimmer wollen und mit welchem Grund? Mit diesem Gedanken schaltete ich das Licht wieder aus. Doch genau in diesem Moment sah ich einen Schatten und so knipste ich das Licht im selben Moment schnell wieder an, wie auch mein Herz wieder auf Hochtouren arbeitete. Natürlich war mein Zimmer aber wieder leer… Ich sollte wirklich aufhören, abends solche Bücher zu lesen.

Naemy liess ihre Hände sinken und starrte wieder in den Himmel, in Richtung des Regenbogens. Die Wassertropfen, die gelegentlich durch das Blätterdach zu ihr durchdrangen, störten sie nicht. Nein, im Gegenteil. Genauso wie sie den Wind mochte, so hatte sie auch ein Flair für Wasser und besonders für Regen. Ein Tropfen traf ihr Oberarm und kullerte, dank dem sie ein Ärmelloses T-Shirt trug, ungehindert an ihrem Arm entlang nach unten, über ihren Handrücken und weiter zu ihrem Zeigefinger. Gerade rechtzeitig hob sie ihre Hand, um den Tropfen am Herunterfallen zu hindern. Lange betrachtete sie das kleine Stückchen Wasser und bewunderte seine wohlgeformte Schönheit und die klitzekleinen Spiegelungen der Umwelt in seinem Inneren. Dann aber drehte sie ihren Finger nach unten und liess ihn seine Reise zum Erdenreich zu Ende gehen.
Tamiia
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